Inhaltszusammenfassung:
Unser Gedächtnis stellt nach wie vor ein nicht völlig verstandenes Mysterium
dar. Es muss Erinnerungen möglichst detailgetreu repräsentieren und trotzdem
genügend Kapazität für die Aufnahme und Verarbeitung von neuen Informationen
bieten. Ein Mechanismus dies zu gewährleisten, kann eine Abstraktion
des Erlebten sein. Bestandteil dieser abstrakten Repräsentation ist die
Gist, die Kerninformation des Erlebten. Gist Abstraktion kann durch Konsolidierungsprozesse
im Schlaf unterstützt werden. Während diese Erinnerungsverarbeitung
meistens Teil eines flexiblen Gedächtnisses ist, können im Verlauf
auch Fehler, sogenannte Erinnerungsverfälschungen, entstehen: Wir meinen
uns lebhaft an nie Erlebtes zu erinnern.
In der vorliegenden Arbeit wurde untersucht, wie sich auf der Gist basierende
Erinnerungsverfälschungen über multiple Konsolidierungsnächte verändern
und ob eine Langzeitrepräsentation der Gist durch Schlaf beeinflusst wird. Den
Schwerpunkt dieser Arbeit bildete ein Experiment, bei dem mittels eines visuellen,
nonverbalen Figurenparadigmas der Einfluss von Schlaf auf Erinnerungsverfälschungen
im Kurzzeit- (nach 20 Minuten und 10 Stunden) und im
Langzeitabruf (nach einem Jahr) analysiert wurde.
Im Kurzzeitabruf erkannten und „erinnerten“ Probanden der Schlafbedingung
im Vergleich zur Wachbedingung subjektiv signifikant sicherer vorher enkodierte
alte Figuren, was für ein stärkeres episodisches Gedächtnis der Schlafbedingung
spricht. Zwischen der Wiedererkennungsrate von korrekt und sehr
sicher erinnerten alten Figuren und REM-Schlaf bestand eine positive Korrelation.
Außerdem erkannten nur Probanden der Schlaf-/Wachbedingung die Gist im
Vergleich zu alten, gelernten Figuren signifikant häufiger wieder. Eine effektive
Gist Abstraktion war somit erst nach 10 Stunden, aber noch nicht nach 20
Minuten feststellbar. Im Langzeitabruf wurde nur die Gist in der Schlafbedingung
über Zufallsniveau wiedererkannt, was sich auch in den Eyetrackerdaten
widerspiegelte.
Die Ergebnisse sprechen für einen verstärkenden Kurzzeiteffekt von Schlaf
auf episodisches Gedächtnis. Bereits nach 10 Stunden in der Schlaf-/Wachbedingung
war eine Gist Abstraktion des Gelernten nachweisbar. Ein positiver
Langzeiteffekt von Schlaf auf die Gist Abstraktion konnte noch nach einem
Jahr nachgewiesen werden, wenn Schlaf zeitnah auf die Enkodierung folgte.
Abschließend werden die Ergebnisse in den Kontext aktueller Forschungsergebnisse
eingeordnet und vor diesem Hintergrund diskutiert. Die vorliegende
Studie zeigt Hinweise auf einen positiven Langzeiteffekt von Schlaf auf die Gist
Abstraktion. Um die Rolle von Schlaf in diesem Zusammenhang besser zu verstehen,
ist jedoch noch weitere Forschungsarbeit nötig.