Inhaltszusammenfassung:
Das Ziel dieser Arbeit war zum einen zu eruieren, inwieweit Östradiol bzw. Kortisol und Empathie die moralische Entscheidungsfindung einzeln und gemeinsam beeinflussen. Es wurde auf Basis der Literatur davon ausgegangen, dass Östradiol und Kortisol sowohl allein als auch gemeinsam die moralische Entscheidungsfindung beeinflussen (Ambrase et al., 2021, Uban et al., 2012, Mehta and Josephs, 2010, Barel et al., 2017, Kluen et al., 2017, Buchanan et al., 2020). Weiterhin wurde davon ausgegangen, dass die Effekte für Männer und Frauen verschieden ausfallen. Verschiedene Studien fanden bei Frauen eine Präferenz für normenorientiertes, deontologisches Entscheiden und bei Männern für konsequenzorientiertes, utilitaristisches Entscheiden (Armstrong et al., 2019, Capraro and Sippel, 2017, Fumagalli et al., 2010, Friesdorf et al., 2015). Aufgrund der Verknüpfung von Empathie sowohl mit moralischen Entscheidungsprozessen als auch mit Sexualhormonen, wurde ebenfalls ein Einfluss von Empathie allein und in Kombination mit den Hormonen auf moralische Entscheidungen vermutet (Conway and Gawronski, 2013, Cecchetto et al., 2018, Pascual-Sagastizabal et al., 2019). Zur Bestimmung des moralischen Entscheidungsverhaltens wurde das sogenannte CNI-Modell (C – Consequences, N – Norms, I – InAction) von Gawronski et al. (2017), in einer erweiterten Fassung verwendet. Die Bestimmung der Hormonwerte erfolgte mittels venöser Blutentnahme. Zur Bestimmung des Persönlichkeitsmerkmals Empathie wurde auf Basis des Saarbrücker Persönlichkeitsfragebogen zur Messung von Empathie (Paulus, 2009) ein Gesamt-Empathiescore für jede Testperson gebildet. In die Studie wurden 133 Versuchspersonen eingeschlossen, davon 63 männlich und 70 weiblich. Aufgrund der zirkadianen Rhythmik der Kortisolausschüttung absolvierte ca. die Hälfte der Männer und Frauen die Studie am Vormittag, die andere Hälfte am Nachmittag.
Es ergaben sich keine Geschlechterdifferenzen für utilitaristische moralische Entscheidungen, deontologische moralische Entscheidungen oder generelle Präferenz für (In-)Aktivität bei moralischen Entscheidungen. Lediglich die Vormittagsgruppe entschied stärker deontologisch als die Nachmittagsgruppe. Frauen entschieden durchschnittlich empathischer als Männer. In Korrelationsanalysen ergaben sich positive Zusammenhänge zwischen Kortisol bzw. Östradiol und den CNI-Parametern, mit unterschiedlichen Ergebnissen für Männer und Frauen. Insgesamt war Östradiol bei Männern mit verstärkter Aktivität assoziiert und bei Frauen mit verstärkt utilitaristischem Entscheiden. Kortisol war, genau wie Empathie, für keine Gruppe mit einem bestimmten Entscheidungsverhalten assoziiert. Um den gemeinsamen Einfluss der Hormone auf moralische Entscheidungen zu testen, wurden Korrelationen mit der Ratio Kortisol/Östradiol und den CNI-Parametern berechnet. Auch hier ergaben sich Zusammenhänge mit den Steroidhormonen, wieder mit Unterschieden im Geschlechtervergleich. In Moderationsanalysen konnten diese gemeinsamen Effekte der Hormone jedoch nicht bestätigt werden. Lineare Regressionsanalysen konnten die Ergebnisse der einzelnen Hormon-CNI-Korrelationen bestätigen und fanden weiterhin einen positiven Effekt von Kortisol auf deontologisches Entscheiden für die weibliche und die Gesamtkohorte. Es fanden sich signifikante gemeinsame Zusammenhänge von Östradiol und Empathie bzw. Kortisol und Empathie in Auswirkung auf das moralische Entscheidungsverhalten für mehrere Gruppen. Es ergaben sich auch hier für Männer und Frauen unterschiedliche Ergebnisse.
Die Ergebnisse dieser Arbeit bestätigen somit den Einfluss von Östradiol und Kortisol auf die moralische Entscheidungsfindung. Weiterhin konnte gezeigt werden, dass sich diese Einflüsse für Männer und Frauen unterscheiden, teils scheint auch die zirkadiane Hormonschwankung die Ergebnisse zu beeinflussen. Es wurde ebenfalls gezeigt, dass Empathie und Östradiol bzw. Kortisol das moralische Entscheiden in gewissen Konstellationen gemeinsam beeinflussen. Auf Basis dieser Ergebnisse wäre für zukünftige Studien vor allem eine größere weibliche Stichprobe mit Kontrolle nach Zyklusphase, eine Langzeitbestimmung der Hormonspiegel, evtl. mit Kontrolle der Zyklusphase und eine Differenzierung zwischen situativ oder zirkadian erhöhtem, normalwertigem und chronisch erhöhtem Kortisol interessant.