Inhaltszusammenfassung:
Bei der familiären hemiplegischen Migräne (FHM) handelt es sich um einen schweren mo-nogenen Subtyp der Migräne mit Aura, welche häufig bestimmte neurologische Krank-heitsbilder als zusätzliche Phänotypen einschließt. Die kortikale Streudepolarisation, das neurophysiologische Korrelat für die Migräneaura, stellt eine sich langsam ausbreitende Depolarisationswelle dar, die eine langanhalte Suppression kortikaler Aktivität zur Folge hat.
FHM3 wird durch Varianten mit Funktionsgewinn im SCN1A Gen verursacht, welches den vorwiegend in inhibitorischen Neuronen exprimierten, spannungsgesteuerten Natriumka-nal NaV1.1 kodiert. Phänotypisch weisen PatientInnen mit der Missense-Variante L1649Q eine reine hemiplegische Migräne (HM) auf. Im Gegensatz dazu wird das SLC1A3 Gen mit episodischer Ataxie Typ 6 (EA6) assoziiert. Allerdings wurde das Gen kürzlich auch mit HM in Verbindung gebracht. SLC1A3 kodiert für den glialen exzitatorischen Aminosäuretrans-porter 1 (EAAT1), der sowohl als Glutamat-Transporter als auch als Anionenkanal operiert. Die P290R Variante wurde in einem Patienten mit einem überlappenden Syndrom beste-hend aus HM, Epilepsie sowie Ataxie identifiziert und führt zu einem beeinträchtigten Glutamat-Transport, jedoch gleichzeitig ebenso zu einer vermehrten Aktivität des Chlorid-kanals.
Um die weitgehend ungeklärten pathophysiologischen Mechanismen der kortikalen Streudepolarisation zu entschlüsseln, wurden die Scn1aL1649Q/wt und Slc1a3P290R/wt knock-in Mausmodelle anhand eines multimodalen Ansatzes untersucht.
Die Kombination aus einer Bildgebung mittels intrinsischem optischen Signal (IOS) und extrazellulären sowie Kalium (K+)-sensitiven Mikroelektroden Ableitungen in Hirnschnitten zeigte eine erhöhte extrazelluläre K+ Konzentration ([K+]e) während einer frühen Phase der kortikalen Streudepolarisation in Scn1aL1649Q/wt Tieren1. Dies stellt vermutlich den mecha-nistischen Zusammenhang zwischen der Übererregbarkeit von Interneuronen und der erhöhten Suszeptibilität gegenüber kortikalen Streudepolarisationen in vivo dar, was kürz-lich demonstriert werden konnte1. Zusätzlich wurde nach Anwendung von GS967, einem Blocker des persistierenden Natriumstroms, eine verminderte Anfälligkeit gegenüber kor-tikalen Streudepolarisationen in vitro nachgewiesen1. Diese neu identifizierte Kaskade erweitert die Konzepte der Pathophysiologie kortikaler Streudepolarisationen maßgeb-lich1, da der Fokus bisher hauptsächlich auf die glutamaterge Neurotransmission gelegt worden war.
Im Slc1a3P290R/wt Model zeigten sich die Anfälligkeit gegenüber kortikaler Streudepolarisa-tionen sowie die Ausbreitungsgeschwindigkeit erhöht, jedoch verblieben die [K+]e-Level ausschließlich während später Phasen der Streudepolarisation erhöht. Zusätzlich zeigte sich eine deutlich beschleunigte K+ Dynamik während der frühen Phase der kortikalen Streudepolarisation.
Mithilfe von Patch-Clamp Ableitungen wurden sowohl die synaptische Transmission als auch die tonische GABAerge Inhibition untersucht. Da sich das Gleichgewicht zwischen kortikaler Erregung und Hemmung in den Slc1a3P290R/wt Tieren jedoch als erhalten erwies, verblieben die zu Grunde liegenden zellulären Mechanismen, welche zu den jeweilig ver-änderten Charakteristika der Streudepolarisationen führen, ungeklärt.
Ein Video-EEG-Monitoring während der Episode mit der höchsten Anfälligkeit gegenüber epileptischen Anfällen sowie der daran anschließenden kompensatorischen Phase ergab eine äußerst hohe Vulnerabilität heterozygoter Tiere gegenüber Anfällen und Status epi-leptici. Die hohe Anfalls-assoziierte Letalität bestätigte zusätzlich den schweren Phänotyp, welcher ein Maximum während der vierten und fünften postnatalen Woche erreicht.
Eine gesteigerte c-fos Expression wurde sowohl im Thalamus als auch im Hippokampus nachgewiesen und deutet auf Regionen hin, die vermutlich während epileptischer Anfälle oder Status epileptici eine Rolle spielen.
Abstract:
Familial hemiplegic migraine (FHM) represents a severe monogenic subtype of migraine with aura and frequently includes specific neurological disorders as additional pheno-types. Cortical spreading depolarisation (CSD), the neurophysiological correlate for mi-graine aura, is a slowly migrating wave of depolarisation, which results in a long-lasting suppression of cortical activity.
FHM3 is caused by gain-of-function (GOF) variants in the SCN1A gene encoding the voltage-gated sodium channel NaV1.1 that is predominantly expressed in inhibitory neurons. Pa-tients carrying the missense mutation L1649Q display a pure hemiplegic migraine (HM) phenotype. In contrast, the SLC1A3 gene is associated with episodic ataxia type 6 (EA6) but has recently been implicated in HM. SLC1A3 encodes the glial excitatory amino acid transporter 1 (EAAT1) functioning both as glutamate transporter and anion channel. The variant P290R was identified in a patient with an overlapping syndrome comprising HM, epilepsy, and ataxia and results in impaired glutamate transport but increased Cl- (chlo-ride) channel activity.
To unravel the largely unknown pathophysiological mechanisms of CSD and characterise additional HM phenotypes, the Scn1aL1649Q/wt and the Slc1a3P290R/wt knock-in mouse mod-els were studied using a multimodal approach.
Combining intrinsic optical signal (IOS) imaging with extracellular and potassium (K+)-sensitive electrode recordings in brain slices revealed increased extracellular K+ concen-tration ([K+]e) levels during an early CSD phase in Scn1aL1649Q/wt animals likely representing the mechanistic link between interneuron hyperactivity and elevated CSD susceptibility in vivo, which had previously been demonstrated1. Additionally, the late sodium channel blocker GS967 alleviated CSD susceptibility in vitro1. The novel identified cascade expands the concepts of CSD pathophysiology1, which had mainly focussed on glutamatergic neuro-transmission.
In the Slc1a3P290R/wt model, CSD susceptibility and propagation velocity were increased, however, [K+]e levels were exclusively elevated during late CSD phases. Additionally, K+ dynamics were markedly accelerated during an early CSD phase.
Synaptic transmission and tonic GABAergic inhibition were investigated by performing whole-cell patch clamp recordings. However, as the balance between cortical excitation and inhibition in Slc1a3P290R/wt animals was preserved, the underlying cellular mechanisms leading to altered CSD characteristics remained unclear. Video-EEG monitoring during the period of maximum seizure susceptibility and the subsequent compensatory phase re-vealed that heterozygous animals were extremely vulnerable to seizures and status epi-leptici. The high seizure-associated lethality additionally confirmed the severe phenotype, with a peak during the 4th and 5th postnatal week. The expression of c-fos was markedly upregulated in the thalamus and hippocampus likely representing brain regions that are involved during seizures or status epileptici.