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MCI und Demenz sind häufige Begleitsymptome des Idiopathischen Parkinson-Syndroms und stellen ein ebenso großes Leid sowie eine Einschränkung in verschiedenen Bereichen dar, wie Lebensqualität, soziale Teilhabe, Unabhängigkeit sowie höhere Morbidität & Mortalität für IPS Patienten, wie die hinlänglich bekannten motorischen Symptome. Daher ist ein gutes kognitives Outcome für alle IPS Patienten relevant. In zahlreichen Studien und Publikationen konnten kognitive Einschränkungen bei IPS Patienten nachgewiesen werden. Häufig konnten bereits bei mehr als 30% der Patienten zum Zeitpunkt der Diagnose kognitive Einschränkungen festgestellt werden. 10 Jahre später liegt bei über 40% der IPS Patienten eine Demenz vor. Es wurden zahlreiche Einflussfaktoren und Prädiktoren in Bezug auf das Auftreten eines MCI und vor allem einer Demenz erforscht, u.a. ein höheres Lebensalter, eine längere Krankheitsdauer, stärkere motorische Symptome, genetische Faktoren und männliches Geschlecht. Gleichzeitig leiden viele IPS Patienten nach einiger Zeit unter Wirkungsfluktuationen und darüber hinaus abnehmender Wirkung ihrer Medikation. Seit einigen Jahren ist daher die Implantation einer Tiefen Hirnstimulation (THS), welche die motorischen Symptome signifikant verbessern soll, bei ausgewählten und u.a. nach kognitiven Kriterien selektierten Patienten eine anerkannte und auch häufig angewandte Therapieoption. Die THS Implantation selbst führt bei streng selektierten Patienten kaum zu kognitiven Nebenwirkungen. Es gibt jedoch für das langfristige kognitive Outcome nach THS bisher nur wenige Daten, welche über einen längeren Zeitraum erhoben wurden. In dieser retrospektiven Studie wurde daher das langfristige kognitive Outcome über einen Zeitraum von mehreren Jahren nach THS-Implantation bei Parkinson-Patienten untersucht.
Wir untersuchten die kognitiven Verläufe von 95 Patienten und analysierten, wie viele Patienten im Rahmen der Follow-up Untersuchungen ein „mild cognitive impairment“ (MCI) bzw. eine Demenz entwickelten, und schätzten mithilfe einer Kaplan-Meier-Analyse die mittlere und mediane Zeit bis zum Auftreten eines MCI bzw. einer Demenz. Die Kaplan-Meier-Analyse berechnet die Zeit bis zum Eintreten eines bestimmten Ereignisses, in diesem Fall also die Zeit bis zum Eintritt eines MCI bzw. Zeit bis zum Eintritt einer Demenz. Tritt in der Kaplan-Meier-Analyse das bestimmte Ereignis nicht ein, werden die Daten zensiert, d.h. der Patient wird nach dem Zeitpunkt der Zensierung aus der Berechnung für die Gesamtwahrscheinlichkeit für das Auftreten eines bestimmten Ereignisses herausgenommen. Es werden erstens die mittlere und zweitens die mediane Zeit bis zum Eintritt eines Ereignisses angegeben.
1. Die mittlere Zeit bis zum Auftreten eines Ereignisses wird definiert als die Fläche unter der Kaplan-Meier Kurve bzw. deren Integral und ist somit stark vom Zensierungsmuster abhängig. (Bei einer Zensierung läuft die Kurve horizontal weiter, die Fläche unter der Kurve wird größer)
2. Die mediane Zeit kann nach Erstellen der Kaplan-Meier-Kurve bei 0,5 auf der y-Achse abgelesen werden, d.h. das ist die Zeit, nach welcher bei 50% der Patienten ein Ereignis eingetreten ist.
Da die mittlere Zeit vom Zensierungsmuster abhängig ist, wird meistens die mediane Zeit berichtet. Dies ist aber nicht einheitlich der Fall, weshalb in dieser Studie sowohl die mittlere als auch die mediane Zeit angegeben werden. Die Studie erfolgte im Rahmen der regulären klinischen Nachsorgeuntersuchungen bei IPS Patienten mit einer THS, entweder im ambulanten oder stationären Rahmen.
In der von uns untersuchten Kohorte entwickelten 64,2% der 95 eingeschlossenen Patienten ein MCI, dieses trat nach einer mittleren Zeit von 6,1 Jahren ein. Nach einer geschätzten Zeit von 4,3 Jahren wurde bei der Hälfte der Patienten ein MCI erwartet, die mediane Zeit lag also bei 4,3 Jahren. Bei 35,8% trat das Ereignis, Auftreten eines MCI, nicht ein. Diese Daten wurden zensiert. Eine Demenz trat bei 12,6% der Patienten in der Gesamtstichprobe auf, diese trat nach einer mittleren Zeit von 13,9 Jahren ein. Nach 12,9 Jahren wurde bei der Hälfte der Patienten eine Demenz erwartet, die mediane Zeit betrug also 12,9 Jahre. Die mittlere Zeit wirkt hierbei im Vergleich zur medianen Zeit deutlich verzerrt, was dem hohen Anteil an Zensierungen (87,4% der eingeschlossenen Patienten) bei der Frage „Zeit bis zum Auftreten einer Demenz“, bei welchen das Ereignis Demenz nicht eingetreten ist, geschuldet ist. Daher ist das Ergebnis nur eingeschränkt beurteilbar. Dem hohen Anteil an Zensierungen liegen mehrere Ursachen zugrunde. Die Hauptursache sind sicherlich fehlende Daten. Durch Tod, Nichterscheinen bei Visiten oder insgesamter Verschlechterung des Allgemeinzustandes können hierbei durchaus Daten und Zeitpunkte fehlen, bei welchen man möglicherweise eine Demenz hätte feststellen können. Jedoch wurden in die Studie nur Patienten eingeschlossen, welche in der präoperativen Untersuchung kognitiv uneingeschränkt waren, d.h. kein MCI und keine Demenz aufwiesen. Durch die streng selektierte Kohorte, welche also zum Zeitpunkt der THS trotz einer mittleren Erkrankungsdauer von > 10 Jahren kognitiv komplett unauffällig sein musste, kann auch argumentiert werden, dass viele Patienten während des Beobachtungszeitraums keine Demenz entwickelten und die Demenz aufgrund des guten kognitiven Zustandes zum Zeitpunkt der THS Implantation erst viel später eintrat. Viele Patienten entwickelten zwar im Verlauf ein MCI (64,2%), jedoch trat bei wenigen dann tatsächlich eine Demenz auf. Der hohe Anteil an zensierten Daten bei der Frage „Zeit bis zum Eintreten einer Demenz“ stellt sicherlich eine Limitation der Studie dar. Die mittlere Erkrankungsdauer zum Zeitpunkt der Operation betrug 11,54 ± 5,52 Jahre. Häufig treten bei IPS Patienten nach einer Erkrankungsdauer von 10 Jahren schon kognitive Einschränkungen auf, weshalb unsere Kohorte auch nicht repräsentativ für alle IPS Patienten ist. Beim Vergleich von Zeiten bis zum Eintreten eines bestimmten Ereignisses im Rahmen der Kaplan-Meier-Analyse besteht die Annahme, dass Prävalenz der Risikofaktoren, Charakteristika der Population sowie Prognose für das Eintreten eines bestimmten Ereignisses immer konstant bleiben. Dies ist jedoch bei einer multimorbiden Patientengruppe wie IPS Patienten trotz einer streng selektierten Kohorte wie in dieser Studie nicht gegeben. Die Aussagekraft bezüglich des Auftretens eines MCI bzw. einer Demenz ist daher kritisch zu bewerten. Vielmehr spielt auch der natürliche Krankheitsprozess bzw. ein zunehmendes Alter bei der Entwicklung kognitiver Defizite eine Rolle. Um eine Unterscheidung zwischen Einfluss der THS auf die Kognition und Verschlechterung der Kognition im Rahmen des natürlichen Krankheitsprozesses abschließend festzustellen, wäre eine Kontrollgruppe notwendig gewesen. Das Fehlen einer Kontrollgruppe ist somit ein weiter limitierender Faktor der Studie. Ein Vergleich mit anderen Studien ist häufig aufgrund unterschiedlicher Einschlusskriterien erschwert. Trotzdem zeigt die Studie, dass ein MCI bzw. eine Demenz in einem vergleichbaren Rahmen auftritt, wie dies bei einem natürlichen Krankheitsverlauf zu erwarten ist und dass das Auftreten eines MCI bzw. einer Demenz in Gegenüberstellung mit der Literatur wahrscheinlich nicht durch die THS bedingt ist. Auch die kognitive Verschlechterung im Rahmen des natürlichen Altersprozesses spielt dabei eine Rolle. Unsere Studie hatte jedoch zusätzliche Einschränkungen. So fand durchschnittlich alle 2 Jahre eine kognitive Testung statt, während ursprünglich jährlich Erhebungen vorgesehen waren. Jedoch ist das Erfassen von kognitiven Scores alle 12 Monaten im Rahmen der regulären klinischen Untersuchungen erschwerter und damit unregelmäßiger als dies bei einer prospektiven Studie mit festen Testintervallen der Fall wäre. Zudem wurden auch die frühen Erhebungen häufig digital nicht vollständig archiviert, weshalb präoperative Erhebungen fehlten. Im letzten Jahr vor Schluss der Datenbank erfolgte nur bei 26,3% Patienten eine Messung, jedoch ist dies für klinische Studien ein häufiges Merkmal, was aber die Genauigkeit der Aussagen verschlechtert. Auch fanden viele Untersuchungen außerhalb der erwarteten Jahreszeiträume statt, was jedoch medizinisch gesehen kein Problem darstellt. Von den ursprünglich sieben erwarteten Visiten pro Patient fanden im Schnitt drei statt. Dies ist, wie bereits berichtet, durch Todesfälle, fehlende Anwesenheit bei Kontrollterminen und erschwerter Durchführung kognitiver Untersuchungen bedingt. Bei klinischen Studien ist dies ein häufiges Phänomen, welches aber die Sicherheit der Ergebnisse verringert. Gegen eine hohe „Drop-out“ Rate spricht, dass durchschnittlich 1,79 Jahre vor Schluss der Datenbank nochmals eine Erhebung stattfand.
Weiterhin konnte die Variable „Alter > 70 Jahre bei THS Implantation“ als Prädiktor mit einem signifikanten Ergebnis für das Auftreten eines MCI identifiziert werden. Ein ähnliches Ergebnis findet sich jedoch auch bei Studien ohne THS-Patienten, sodass dies erneut im Rahmen des natürlichen Krankheitsprozesses gewertet werden kann. |
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