Kaiser und Kosmokrator. Der Große Kameo von Frankreich als astrale Allegorie

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URI: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:21-opus-58229
http://hdl.handle.net/10900/46916
Dokumentart: PhDThesis
Date: 2011
Language: German
Faculty: 5 Philosophische Fakultät
Department: Archäologie
Advisor: Hitzl, Konrad (Prof. Dr.)
Day of Oral Examination: 2004-05-17
DDC Classifikation: 930 - History of ancient world to ca. 499
Keywords: Tiberius <Römisches Reich, Kaiser> , Grand Camée de France , Prinzipat , Allegorie
Other Keywords: Kosmokrator
Cosmic rulership , Tiberius Caesar , Allegory , Cameo , Principate
License: http://tobias-lib.uni-tuebingen.de/doku/lic_mit_pod.php?la=de http://tobias-lib.uni-tuebingen.de/doku/lic_mit_pod.php?la=en
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Inhaltszusammenfassung:

Zunächst wird der Bedeutung von Edelsteinen in der frühen Kaiserzeit nachgegangen, danach das Bildprogramm des Großen Kameo von Frankreich untersucht. Dieser, ein Bandachat mit einer 25 Figuren umfassenden Darstellung, stammt aus dem kaiserlichen Schatz und befindet sich heute in Paris. Dargestellt ist eine Szene am Hof des Tiberius. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Porträtforschung gelangt die Verfasserin zu der Überzeugung, dass das zwischen 23 und 29 n. Chr. entstandene Werk ist mit der Neuregelung der Nachfolge nach dem Tod der Tiberiussöhne befasst ist. Diese sind zu Seiten des Divus Augustus im ‘Himmel’ wiedergegeben. In der Mittelszene ist der ‘Aufbruch’ der Germanicussöhne zur militärischen Laufbahn wiedergegeben, welche die Voraussetzung für eine Thronfolge war. Sodann wird versucht, dem allegorischen ‘Überbau’ dieser Kernaussage nachzuspüren. Ausgehend vom schwebenden Orientalen, welcher als Abbild des in das Sternbild Aquarius verwandelten Ganymed identifiziert wird, können das geflügelte Pferd und der Cupido als verschlüsselte Wiedergaben der Sternbilder Pegasus und Pisces erkannt werden. Verstorbene Familienmitglieder sind demnach ‘zwischen den Sternen’ im Jenseits dargestellt. Die lebenden Angehörigen treten in der Rolle von Göttern auf, mit denen weitere Gestirne verbunden werden können. Der Kameo gibt so indirekt die in die Fläche übertragene nördliche Himmelshemisphäre wieder, wobei die Rollen des Kaisers, seiner Erben und seiner Familie definiert werden. Die Sternbilder, auf die im Mittelbild angespielt wird, konnten in Rom in dieser Anordnung in der Abenddämmerung Ende Mai/Anfang Juni beobachtet werden, in der nach antiken Quellen das Sternbild Adler seinen Spätaufgang hatte. Der ‘Aufgang des Adlers’ wird mit dem Aufbruch der Prinzen zu militärischen Taten verbunden. Durch die Symbolik von Gottheiten und Gestirnen, auf die angespielt wird, werden auf dem Kameo allegorisch-politische Andeutungen gemacht, welche eine staatsphilosophische Begründung des Prinzipats in verschlüsselter Form ausdrücken. Der Kaiser erscheint als ‘Kosmokrator’, als Gegenstück zum ätherischen Jupiter der Philosophen. Wie dieser den Kosmos beherrscht, so leitet der Kaiser die menschliche Gemeinschaft. Dem Herrn des Kosmos wird der Augustus als Herr des Erdkreises angeglichen. Seine Aufgaben sind der Schutz des Imperiums, ausgeführt durch die Prinzen des Kaiserhauses und belegt durch die unterworfenen Barbaren in der unteren Bildzone, die öffentliche Wohlfahrt und die innerstaatliche Eintracht. Dieses Bildprogramm wird im letzten Kapitel mit den historischen Ereignissen der Ent-stehungszeit verknüpft. Durch eine vorgeschlagene Verbindung mit dem Africafeldzug des Jahres 24 n. Chr. wird der Kameo zwischen Herbst 23 und der zweiten Jahreshälfte 24 datiert. Durch den Tod des Tiberiussohnes Drusus wurde damals die Nachfolgefrage aktuell. Als langfristige Erben waren die Germanicussöhne vorgesehen, die zu diesem Zeitpunkt noch sehr jung waren. Eine politische Gruppierung um deren Mutter Agrippina forderte eine rasche Nachfolge des Nero Germanicus und rechtfertigte dies durch die Blutsverwandtschaft mit Augustus. Der gebürtige Claudier Tiberius beharrte dagegen auf dem Leistungsprinzip, das seiner eigenen Machtübernahme zugrundegelegen hatte. Beide Seiten griffen auf eine auf stoischem Gedankengut beruhende Ideologie zurück, welche behauptete, daß Kinder des Kaiserhauses die Herrschertugenden ihrer Vorfahren geerbt hätten und daher für die Herrschaft qualifiziert seien. Während dies der Agrippina-Faktion als Legitimation genügte, galt es Tiberius nur als Grundlage für einen künftigen Herrschaftsanspruch, den seine Enkel durch persönliche Verdienste noch zu rechtfertigen hätten. Diese politische Position illustriert der Große Kameo. Durch ihre persönlichen Tugenden sind die Mitglieder des Kaiserhauses, einschließlich der gebürtigen Claudier, ‚dem Himmel nahe’. Die Verstorbenen haben sich den Aufenthalt im Sternhimmel verdient. Diesem Vorbild werden die Germanicussöhne nachstreben, weil das ihrer tugendhaften Natur entspricht, und so denselben Anspruch auf die Macht erwerben wie ihre Vorfahren. Die eigentliche Machtausübung bleibt dem Kaiser, dem irdischen Gegenstück zum Kosmokrator, vorbehalten. Der Kameo dürfte im Auftrag des Tiberius angefertigt worden sein, dessen Standpunkt er wiedergibt, und sich an die Führungsschicht gerichtet haben. Daß die darauf propagierten dynastischen Pläne niemals umgesetzt wurden, hängt mit dem offensiven Vorgehen der Agrippina-Faktion zusammen, welches den Kaiser stark unter Druck setzte, so daß er wohl seine eigene Legitimation und zugleich das Prinzipatssystem gefährdet sah. Der große Kameo ist somit ein hochpolitisches Kunstwerk, das einen entscheidenden Augenblick in der Entwicklung des frühen Prinzipats illustriert, und zudem ein authentisches Zeugnis zum Selbstbild der römischen Monarchie.

Abstract:

The significance of precious stones during the principate is looked into, then a new interpretation of the Grand Camée de France, is introduced. This agate, composed of five differently coloured bands of quarz and worked into a relief showing 24 persons and a winged horse, was once contained in the imperial treasury and is kept today in Paris. It shows us a scene from the court of Tiberius. Comparing the portraits on the cameo with contemporary marble portraits, as scholars have them by now identified, it is possible to date the stone between 23 and 29 of the Christian era, identify the chief actors and interpret the scene: it deals with the problem of succesion to the throne of Tiberius after his son’s death in 23. Tiberius’ dead sons are shown in ‚heaven’, at his predececessor Augustus’ side, while in front of his throne the sons of Germanicus seem to be starting on a military career. For serving as a military commander was essential for a later succession to the throne. The third chapter tries to reconstruct the scene as an astral allegory. The heavenly figure in oriental costume can be interpreted as Ganymedes, changed into the stars of Aquarius. Following that example, it is possible to name the winged horse as a symbolic image of the constellation Pegasus and the Cupid as an image of the constellation Pisces. The imperial family’s dead members are shown staying among the stars, while still living family members appear as gods and goddesses. These each have a connection to still more constellations, so that the cameo indirectly depicts stars of the northern hemisphere as a symbolic picture of the role of the Roman emperor, his heirs and his family. The constellations alluded to by the members of the imperial family could be seen at Rome during dusk at the end of May/the beginning of June, when the constellation Aquila had its late rise. The ‚rise of Aquila’ marks the beginning of the young princes’ military careers. Following up the symbolism of the gods and constellations to which the imperial persons point, we find a political allegory that puts the Roman Emperor in the place of heavenly Jupiter. As Jupiter in philosophical theory is Kosmokrator, the lord of the universe, so likewise the Roman Emperor, the Augustus, is the ruler of human society and lord on earth. His duties are protection of the Empire, through the princes acting as his military deputies, the creation of public good and the maintenance of concord. This allegorical scene is connected with the historical record in chapter 4. In 24, a lingering military campaign ended victoriously in the province of Africa, and it is postulated here that the young princes were planning to have a part in it. If this holds true, the cameo would have been cut between the death of Drusus in the autumn of 23, and the second half of 24. With Drusus’ death a new succesor to the throne had to be found. The sons of Germanicus, who were thought to be Tiberius’ heirs in the long run, were still too young in 23. A political group supporting the youth’s mother, Agrippina, nevertheless campaigned for Nero Germanicus to succeed to the throne immediatly, arguing that the sons of Agrippina were Augustus’ great-grandchildren and heirs to the ‚divine lineage’ of the Iulii. Tiberius, on the other hand, who was born a Claudian, had become emperor because of his personal achievements and would not accept a successor who hadn’t done some public service first. Like Agrippina, he argued that children of the imperial family had inherited the virtues of their ancestors (a thought developed by stoic philosophers), and were therefore qualified as future rulers. But he insisted that his heirs would have to prove themselves through personal achievements first. This position is illustrated on the Grand Camée. Because of their personal virtues, the members of the imperial family, including the former Claudians, are ‚close to heaven’. The dead family members have already earned their place among the stars. Their virtuous example will be followed by the sons of Germanicus, because of the princes’ very nature. It is in this way that they will earn their succession to power, as their ancestors did before them. For the moment, power is wielded by the emperor, him who is the earthly Kosmokrator. It probably was Tiberius who ordered the cameo to be cut, since it illustrates his political point of view. He may have intended it to point out his arguments to the political élite. However, the dynastic plans it propagates were never put into existence. Agrippina and her factio put much pressure on Tiberius, so he may well have thought his own legitimation to be at stake, and perhaps the augustan res publica restituta as well. The Grand Camée, therefore, is a highly political work of art. It illustrates an important moment in the evolution of the Roman monarchy, and it is an authentical source recording a Roman Emperor’s view of his station at the same time.

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